Kindheit und Jugend

1901–1919

Alberto Giacometti wird am 10. Oktober 1901 im Bergbauerndorf Borgonovo bei Stampa im Bergell, Kanton Graubünden, geboren. Sein Vater ist der bekannte postimpressionistische Maler Giovanni Giacometti (1868–1933); seine Mutter Annetta Giacometti-Stampa (1871–1964) gehört zu den begüterten Familien des Tals. Giacomettis Bruder Diego kommt 1902 zur Welt. 1904 wird die Schwester Ottilia geboren und die Familie zieht nach Stampa; 1907 kommt sein Bruder Bruno zur Welt.

1915 bis 1919 besucht Giacometti als Internatsschüler das Gymnasium in Schiers, wo ihm ein kleines Atelier eingerichtet wird. 1918 entstehen hier und zu Hause bereits meisterhafte Zeichnungen. Im Herbst 1919 beginnt er das Kunststudium in Genf an der École des Beaux-Arts und an der École des Arts Industriels, das er 1920 bereits wieder abbricht.

Aufbruch zur Avantgarde

1925–1929

Unbefriedigt von seinen figürlichen Arbeiten, beginnt Giacometti sich mit den Formen des Kubismus und der afrikanischen Kunst auseinanderzusetzten. Er debütiert 1925 im Salon dʼAutomne mit dem Torse (siehe GS 001 und GS 002). Im selben Jahr kommt sein Bruder Diego nach Paris, er wird ihm lebenslang als Gehilfe und Modell zur Seite stehen. Beide siedeln 1927 in das Atelier an der Rue Hippolyte-Maindron über, wo Giacometti bis zuletzt lebt und arbeitet.

Im Sommer entstehen mehrere Köpfe nach dem Vater und der Mutter. Im Winter 1928/29 entwickeln sich aus deren Reduktion der Tête qui regarde und weitere Plattenskulpturen (siehe GS 010–GS 014). Diese finden unter Künstlern und Literaten sofort grosse Beachtung und öffnen Giacometti die führenden avantgardistischen Kreise. Giacometti wird mit André Masson, Hans Arp, Joan Miró, Max Ernst, Alexander Calder, bald auch mit Pablo Picasso bekannt sowie mit surrealistischen Schriftstellern wie Louis Aragon und Georges Bataille. Der Dichter und Ethnologe Michel Leiris verfasst den ersten, bahnbrechenden Aufsatz über Giacometti in der Zeitschrift Documents.

Jahre der Krise

1935–1945

Giacometti setzt seine Studien realistischer Köpfe fort, sein Bruder Diego und das Berufsmodell Rita Gueyfier sitzen für ihn Modell, ab 1936 auch seine Freundin Isabel Delmer. Er setzt sich weiterhin mit alter Kunst, insbesondere mit ägyptischer und mesopotamischer Skulptur auseinander.

Im folgenden Jahr stirbt seine Schwester Ottilia kurz nach der Geburt ihres Sohnes Silvio. Giacometti beginnt mit den Versuchen, die Erscheinung einer Person in der Ferne zu erfassen; dies führt zu immer kleiner werdenden Figürchen. Die zunehmend grösseren Sockel vergegenwärtigen die Distanz.

Von 1942–1945 lebt er in Genf, wo seine Mutter ihren verwaisten Enkel erzieht. Giacometti verkehrt im Kreis exilierter Pariser Literaten und beginnt Texte für die Zeitschrift Labyrinthe von Albert Skira zu schreiben. In dieser Zeit lernt er Annette Arm (1923–1993) kennen, die er 1949 heiraten wird. Erst im September 1945 betritt Giacometti nach mehr als drei Jahren sein Pariser Atelier wieder, das Diego inzwischen gehütet hatte.

Die späten Jahre

1959–1966

1959/60 arbeitet Giacometti an den grossen Figuren für die Chase Manhattan Plaza, die im April 1960 in Bronze gegossen werden. Auf Anregung des Verlegers Tériade beginnt er eine umfangreiche Serie von Lithografien mit Ansichten seines Pariser Lebensraums. Sie erscheint unter dem Titel Paris sans fin 1969.

1961 entstehen erste Gemälde nach Caroline, einer jungen Prostituierten, die Giacometti in Montparnasse kennengelernt hatte. Bis 1965 wird er zahlreiche Bildnisse nach ihr malen, die den Höhepunkt seiner neuen Darstellungsweise der Wirklichkeit bilden. Giacometti nimmt 1962 an der Biennale in Venedig teil, wo er sowohl als Bildhauer wie auch als Maler ausstellt und erhält für seine Arbeit den grossen Skulpturenpreis. Im selben Jahr findet eine umfassende Ausstellung im Kunsthaus Zürich statt.

Im folgenden Jahr unterzieht sich Giacometti einer schweren Operation zur Entfernung eines Magenkrebses. Er weilt zur Erholung länger als üblich bei seiner Mutter in Stampa, von der er zahlreiche Zeichnungen und Lithografien anfertigt. Sie stirbt im Januar 1964. 1965 folgen zahlreiche Ehrungen und grosse Ausstellungen, unter anderem in der Tate Gallery in London, in Dänemark und im Museum of Modern Art in New York, zu denen er trotz des schlechten Gesundheitszustandes reist.

Nach fünf Jahren Verhandlungen wird am 16. Dezember 1965 die Alberto Giacometti-Stiftung in Zürich gegründet, die dank dem Basler Galeristen Ernst Beyeler und Hans Grether die umfassende Giacometti-Sammlung des Pittsburgher Industriellen G. David Thompson erwerben konnte.

Alberto Giacometti stirbt am 11. Januar 1966 im Kantonsspital Chur. Er wird im Atelier in Stampa aufgebahrt und im Friedhof von San Giorgio bei Borgonovo beigesetzt.